Am 20. April 2007,
früh morgens, fuhren wir in die Uniklinik nach Gießen, um unser Kind zur Welt
zu bringen. Es war ein Freitag. Wir sollten gleich morgens drankommen, aber als
wir ankamen, war gerade ein Notfall im Geburts-OP. Ein Kind war in der 25. Woche
zur Welt gekommen und es dauerte ein paar Stunden, bis Kind und Mutter versorgt
und in Sicherheit gebracht waren.
Ich wurde derweil
in Vorbereitung auf die OP gewässert. Stundenlang, den ganzen Vormittag. Das
heißt, mir wurde per Infusion (Salz-?)Wasser injiziert, ich weiß nicht mehr,
warum, sie hatten es mir erklärt, damit ich die OP besser überstünde. Mir war
kalt deswegen. Ab und zu sah eine Hebamme nach mir. Eine Hebammen-Schülerin
rasierte mir irgendwann die Schamhaare weg und später kam der Anästhesist und
stellte sich vor. Das war ein lustiger Kerl und er erzählte mir, dass er selbst
vor vier Monaten Vater geworden war. „Vier Monate!“ dachte ich, „das Kind ist
ja schon groß.“
Wir warteten.
Dann ging es los.
Mittags gegen halb eins. Der Anästhesist hatte mir eine Kanüle gelegt. Es kam
noch eine Anästhesistin hinzu, die sich mir auch vorstellte. Sie machte einen
ganz toughen Eindruck, aber sie streichelte mir über‘s Gesicht, als ich in den
OP-Raum gefahren wurde.
Dann kamen viele
Menschen, Schwestern, Hebammen und Schülerinnen, Lern-Ärzte, die zusahen oder
auch selbst was an mir ausprobieren durften und dann der Arzt, der mich
operierte, der Michel auf die Welt holen sollte. Alle trugen grüne Käppchen,
auch ich und D. hatten welche auf. Der Oberarzt, der die OP machte, trug ein
Piratenkopftuch! Und er sah auch aus wie ein Pirat! Er war ein junger, dunkler,
lockerer Typ, gleichzeitig wirkte er auf mich kompetent und vertrauenerweckend.
Ich selbst konnte überhaupt nichts mehr machen. Ich wurde rüber gehoben auf den
OP-Tisch und ich glaube, sogar festgeschnallt. Der Anästhesist und die
Anästhesistin redeten mit mir, spaßten und redeten auch Ernsthaftes. Ich
erzählte ihnen von dem Spaziergang damals mit meinem Hund Schröder, als mir so
schlecht war, und von dem meerestiefen Frieden, den ich empfunden hatte.
Ich spürte, dass
an mir geschnitten, gezogen und gedrückt wurde, ohne Schmerz zu empfinden. Ich
hatte vollstes Vertrauen, zu allem und allen um mich herum. Ich war mir gewiss,
in allerbesten Händen zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass lauter menschliche
Engel um mich herum waren. Und unsichtbare Engel waren auch im Raum.
D. sagte mir
später, er habe während der OP unten beim Operateur gestanden. Der hat ihm
meine Innereien gezeigt, Eierstöcke, die Myome und so. Und ich dachte, er säße
die ganze Zeit neben mir.
Dann war Michel
draußen. Er schrie. Der Pirat sagte, dass es auch „ein Michel“ sei, ein Junge.
Sie hielten ihn kurz neben mich, dass ich ihn sehen konnte: Ein kleiner,
blutverschmierter Mensch mit schwarzen Härchen am ganzen Körper. Aber schwupps
– war er weg, zur ersten Versorgung. Ich hörte ihn die ganze Zeit schreien. Das
tat mir leid. Der Pirat sagte, dass er nun meine Gebärmutter wieder gut zunähen
würde, damit Michel noch ein Geschwisterchen bekommen kann. Mir wurde schlecht.
Das sagte ich dem Anästhesisten und der träufelte mir etwas dagegen ein.
Dann erschien D.
mit dem eingewickelten Michel auf dem Arm neben mir. Irgendwie sah D. mitgenommen aus. Als ich
fertig zugenäht war, wurde ich wieder in das Zimmer gefahren, in dem wir den
ganzen Vormittag über gewartet hatten. Michel wurde mir wieder in den Arm
gelegt. Mir war so schlecht, dass ich Angst hatte, ich müsste brechen.
Dann erschien ein
Arzt in rotem Kittel. Der saß plötzlich am Fenster und erzählte was von
Verdacht auf Down-Syndrom und dass ein Bluttest veranlasst sei, um Gewissheit
zu erlangen. Ich dachte: „Was redet der? - Mein Kind?“
Michel wurde in
die Kinderklinik gebracht, weil irgendein Wert nicht gesättigt war. Ich war
nicht ganz bei mir, ein bisschen im Tran. D. fuhr irgendwann nachhause, nachdem
die Hebamme ein Polaroidbild von Michel gemacht hatte, für die daheim. Da sah
er doch ganz süß drauf aus! „Der wird das nicht haben“, dachte ich, „die irren
sich.“
Dann begann die Narkose
nachzulassen und die Schmerzen begannen. Ich bekam Schmerzmittel, die lullten
mich noch mehr ein und ich döste vor mich hin, zwischen den Welten.
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