Freitag, 11. Mai 2018

Im Fluss sein

Das Geld floss die ersten sechs Wochen, die ich zuhause blieb, wie gehabt und dann in Form von Krankengeld. D. traf Vorbereitungen, um zu mir zu ziehen. Im Oktober zog er um. Er ging zu der Zeit auch noch arbeiten, Kfz-Aufbereitung. Zum Winter hin, sagte er, gäbe es dort keine Arbeit mehr und er meldete sich arbeitslos. Wir warteten ewig, über Monate, auf die Gewährung von Geld für ihn / uns vom Arbeitsamt und lebten den ganzen Winter und halben Frühling über von meinem Krankengeld. Wir dachten immer, es sei zu wenig (aber irgendwie reichte es doch) und wenn erst das Arbeitslosengeld käme, die Nachzahlung - dann … ! 

Wenige Wochen vor Michels Geburt bekamen wir nach mehrmaligem Nachfragen den Bescheid, dass sein Antrag abgelehnt sei, weil wir in eheähnlicher Gemeinschaft lebten und mein Krankengeld für uns beide ausreiche. Wir fielen aus allen Wolken. Die Sachbearbeiterin behauptete auch, sie hätte uns den Bescheid schon vor Wochen zugesandt. Wir hatten aber nichts bekommen und lebten die ganze Zeit in der Hoffnung auf über kurz oder lang kommendes Geld. 

Die Woche nach Michels Geburt, als wir aus dem Krankenhaus nachhause fahren wollten, waren wir bis zum Anschlag im Soll und wir liehen uns von meinen Eltern Geld, um 100,- € Leihgebühr für eine Milchpumpe zahlen zu können, um Lebensmittel zu kaufen und das Auto zu tanken. 

Am 1. Mai war die Auszahlung einer Lebensversicherung von mir fällig. Das waren knapp 4000,- €. Damit füllten wir unser Konto, bezahlten die Schulden zurück und kauften uns eine Gartenhütte im Sonderangebot. In Erwartung der Nachzahlung vom Arbeitsamt hatten wir uns in diesem Frühjahr auch schon einen ermäßigten Pavillon geleistet, mit dem D. einen schönen Freisitz für uns gebaut hatte. So hatten wir zwar sehr wenig Geld, aber uns flossen doch Reichtümer und Neuerungen zu. Zumal D. einen enormen Arbeitseifer besitzt, ausgesprochen kreativ ist und handwerklich ein Allroundtalent. Er hat hier losgelegt und innen und außen in so kurzer Zeit soviel verändert, dass es mir hinterher leid tat, dass ich nicht von allen erneuerten Ecken Vorher-Nachher-Fotos gemacht hatte. 

Er renovierte auch Flur und Bad, mit enormem Aufriss – alles neu. Das sponserten meine Eltern, denen das Haus, in dem wir wohnen, gehört, und ich übte mit meiner Psychologin, das alles anzunehmen und die Haltung einzunehmen, dass es mir zusteht. Zu diesen therapeutischen Sitzungen ging ich, seit ich damals mit R. zusammen war. In dieser Beziehung war ich in vollem Ausmaß an meine Eifersuchts- und Minderwertigkeitsthemen und an meine Verlassens-Ängste gekommen. Und weil ich schon im Prozess des Trockenwerdens vom Alkohol hilfreiche therapeutische Erfahrungen gemacht hatte, hatte ich keine Berührungsängste mit Psychologen und beantragte eine Therapie, als ich nach Vorkommnissen mit R. ein paar Nächte lang nicht geschlafen und mich nur von Kaffee ernährt hatte, innerlich total am Rad drehte, völlig verzweifelt war und Höllenqualen litt. 

Im Februar begann D. damit, meine Speisekammer wegzuhauen und den Flur zu erweitern. Im Bad wurde auch alles herausgehauen, bis auf die letzte Fliese. Flur und Bad lagen also in Schutt und Asche und über Wochen war das eine Baustelle. 

Ich hatte einen riesengroßen Bauch und lag die meiste Zeit im Bett, weil ich zu der Zeit enorme Beschwerden hatte. Zeitweise konnte ich wegen Schmerzen nicht richtig laufen. Ende Januar verbrachte ich deswegen auch eine Woche stationär in der Klinik. Im letzten Drittel der Schwangerschaft wurde es besser. Das war für mich die entspannteste Zeit der Schwangerschaft, da hatte ich nur noch Sodbrennen nachts.

Ich musste also den ganzen Umbruch einfach hinnehmen. Loslassen und geschehen lassen, mich hingeben, liegenbleiben und die anderen machen lassen. 

 

Ich sehe es auch als göttliche Fügung an, dass wir so lange nichts von dem Ablehnungsbescheid wussten und im Glauben lebten, da käme bald eine ordentliche Nachzahlung. Ich machte mir so schon Sorgen um unsere Finanzen, aber wenn ich das noch gewusst hätte, hätte ich mich noch viel mehr gegrämt. Den Pavillon hätten wir mit Sicherheit  nicht gekauft. So aber haben wir ihn und es ist finanziell doch immer irgendwie gegangen. Unser Konto war zwar dauernd im Soll, aber trotzdem floss der kosmische Fluss und brachte uns viel Neues. 

So ist es auch mit Michel. Ich machte mir ohnehin gelegentlich Sorgen, ob auch alles gutgehen würde. Eine Geburt stand mir bevor! Und es sollte ein geplanter Kaiserschnitt werden, weil der natürliche Weg durch die Myome blockiert war. Die Wehen durften nicht einsetzen, denn sonst bestand die Gefahr, dass meine Gebärmutter platzen könnte, was bestimmt tödlich für das Kind und mit 80 %tiger Wahrscheinlichkeit auch für mich enden könnte. So hatten es mir die Ärztinnen gesagt, meine Gynäkologin und die Ultraschallerin in der Uniklinik. 

Mit dem Festlegen eines Geburtstermins tat ich mir schwer, denn ich bin der Ansicht, jeder hat seine Zeit, zu der er auf die Erde kommt (und später wieder geht), das entscheidet die Seele. Und da sollte ich eingreifen und bestimmen?! Meinem Kind etwas aufzwingen? … - Heute bin ich im tiefen Vertrauen, dass das alles, auch mit den scheinbaren äußeren Zwängen, genau richtig war. Michel ist zu seiner Zeit auf die Erde gekommen. Das Ganze war von vorne bis hinten behütet und beschützt, und ist es mit Sicherheit noch. 

Wenn ich gewusst hätte, dass Michel das Down-Syndrom hat, dann hätte ich mir noch viel mehr Sorgen gemacht. Aber so kam er raus und dann war es so. 

Da begannen die 7 heiligen Tage.

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