Freitag, 18. Mai 2018

Freiheit

Vorbemerkung anlässlich der Veröffentlichung im Blog:

Beim Aufarbeiten des Kapitels für seine Veröffentlichung hier im Blog, bin ich wieder ganz begeistert davon, was Internet alles möglich macht! Die Filme, von denen ich schreibe, gibt es beide in voller Länge auf youtube und ich verlinke nach Herzenslust! 💖 😍 😊 Wer mag, kann sie sich bei Gelegenheit anschauen. 

Auch das erwähnte Buch kann angeklickt und bei Interesse erworben werden. Und den "Kurs in Wundern" habe ich sogar in seiner Gesamtheit als PDF-Datei gefunden - jeder kann ihn frei zugänglich studieren.

Ich find's klasse, diese Multi-Media-Möglichkeiten! mmm im www   

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Das folgende Kapitel enstand am 4. August 2008 und die Erläuterungen aus dem Mayakalender beziehen sich auf diese Zeit.

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Gestern Abend war ein „Polizeiruf“-Krimi im Fernsehen in dem eine junge Frau mit Down-Syndrom eine Hauptrolle spielte. Der Kriminalfall im Film kam garnicht so sehr zum Tragen, viel mehr Raum nahmen die Geschichten der Beziehungen der Menschen ein, der „behinderten“ und „nichtbehinderten“: Wie der einarmige Kommissar Tauber und Rosi mit dem Down-Syndrom in Beziehung treten z.B. Eine andere Szene zeigte, wie Rosi mit ihrem ebenfalls behinderten Freund intim wird. 
 
Ich fand diesen Film voll gut! Ich finde es gut, wie „behinderte“ Menschen so neu integriert werden. Früher war das anders. Dieser Film war irgendwie „normal“, ohne Klischees, nicht dramatisierend und nicht beschönigend. 

Rosi war schwanger. Ihre Mutter war die Leiche im Film. Und ihr Vater, mit seiner neuen Frau, war mit Rosis Baby überfordert und lies es ihr abtreiben. Das war traurig. Aber das Ende des Films war auch irgendwie so gestaltet, dass man sich den Ausgang eigentlich selbst aussuchen kann. Ist das Kind nun abgetrieben oder nicht? Etwa so, wie der Film „Lola rennt“. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Man hat die Wahl. 

Immer im Leben hat man die Wahl. Auch wenn man meint, dass das nicht so sei und man stünde mit dem Rücken zur Wand. Vielleicht machen sich gerade jetzt, in dieser Zeit – hohe Öl-  und Lebensmittelpreise, Arbeitslosigkeit, Zusammenbruch des Finanzsystems - viele Menschen große Sorgen – aber: haben sie das nicht schon immer getan? Macht man sich nicht immer mal irgendwelche Sorgen? 

Wenn man genauso gut Frieden wählen kann!? 

„Ich wähle Frieden und lege meine Zukunft in Gottes Hände.“ (Das ist aus „Ein Kurs in Wundern“.) Und sowieso ist „die Zukunft“ garnicht da, sondern nur das Jetzt.  

Gestern waren wir mit Freunden Eis-essen. Da drehte sich die Unterhaltung auch sehr um diese Themen des Mangels: schlechte Arbeitsbedingungen oder keine Arbeit, wer welche Krankheit hat, leere Geschäfte in der Innenstadt … ich mag mich da jetzt nicht hinein vertiefen. – Früher habe ich immer dagegen angekämpft: „Ja, aber … man kann das doch auch so und so sehen.“ (Leere Geschäfte z.B. sind potentieller Raum für Neues.) Das hat die Fronten stets noch mehr verhärtet und ich wurde oft angegriffen. Jetzt kämpfe ich nicht mehr gegen die Klagen an, auch nicht innerlich. Ich lass‘ die Leute reden und bringe ab und zu meine Gedanken an. Damit geht’s mir besser und wir sind alle mehr im Fluss. 

Ein paar meiner alten Freundschaften sind dadurch auf der Strecke geblieben. Ich konnte das Gejammer nicht mehr hören. Ich habe das Sich-beklagen nicht mehr ertragen und das ewige Festhalten an Geschehnissen von vorvorgestern, an Ex-Männern („Das kannst Du nicht verstehen, Du warst mit Deinem Ex nicht so lange zusammen.“) oder schlimmen Begebenheiten aus der Kindheit. Auch das kann man ändern!!! Ich habe selbst die ersten acht Wochen meines Lebens in einem Gitterbett in der Kinderklinik verbracht und dachte jahrelang, dass ich dadurch und wegen des Weitergangs meiner Lebensgeschichte unheilbar traumatisiert sei. Das war ich wahrscheinlich auch, schwer traumatisiert. Das erste Mal, dass ich einen Eindruck von Heilung-ist-möglich bekam, war während einer Gruppentherapiestunde in der Klinik der „Trinkerheilanstalt“. Als ich trocken wurde, war ich 9 ½ Wochen stationär in Therapie. Diese Gruppentherapie damals trug den Titel „Zärtlichkeit und Meditation“, wenn ich mich recht erinnere. Bis dahin waren diese ersten acht Wochen meines Lebens und die fehlende Zärtlichkeit in meiner Familie, die ich stets als körperliches Kältegefühl empfand, für mich wie ein schwarzes Loch. Ein schwarzes, bodenloses Loch, kalt und mit nichts zu füllen. In einer dieser Zärtlichkeit und Meditations-Stunden hatte ich in der Meditation die Empfindung eines Sonnenaufgangs von meinen Füßen her. (Bis dahin hatte ich immer kalte Füße. Heute ist das nicht mehr so.) Ein orangefarbener Sonnenaufgang, der Wärme brachte. Es ist zu mir gekommen, aus mir heraus aufgestiegen. Aus meinen Tiefen. Oder aus einer größeren Tiefe, mit der ich verbunden bin und die ich letztendlich auch bin. Gott. Vater-Mutter-Kind-Tiere-Pflanzen-Steine-Alles-Gott.


Also: Haltet inne, gesteht Euch Eure schwarzen Löcher ein und vertraut Eurem Leben. Vertraut Euren Prozessen. Sie bringen Euch zu Gott. Sie bringen Euch nachhause. Direkt ins Paradies. Über kurz oder lang. Ich glaube eher, ziemlich rasch. 

Wir haben Cauac 3 im Maya-Kalender, das Jahr des blauen, elektrischen Sturms, 26. Juli 2008 bis 24. Juli 2009. Der wird uns ordentlich aufwirbeln, dieser blaue Sturm, und uns in unser Licht bringen! Er kommt, uns zu dienen, der Ton 3, und da kann keiner mehr festhalten. Wind of change! 

Geht in den inneren Frieden und legt Eure Zukunft in Gottes Hände. Auch wenn oder gerade weil! Ihr dieser Gott selbst seid. Wir werden uns selbst alle das Beste und Schönste schenken, ganz bestimmt! Wie sollte jemand etwas anderes wollen? Was willst Du? Was willst Du? Was will ich? Nicht: Was will ich nicht? Sondern: Was will ich?

Ich will z.B. all die Unterstützung annehmen, die an jeder Ecke die Arme für mich ausbreitet, um den Bogen zum Anfang dieses Kapitels zu schlagen, denn ich wollte darüber schreiben, was mich in Bezug auf Michels Down-Syndrom vom letzten Rest Beklemmung befreite. Davon war nämlich noch etwas in mir, die ersten Monate von Michels Leben. Vielleicht resultierte das aus einer Ungewohntheit und Unsicherheit im Umgang mit „Behinderung“, anders-sein, obwohl Michel von Anfang an „normal“ für mich war, selbstverständlich. Aber mir war früher selbst mulmig im Umgang mit „Behinderten“. (Ich frage mich immer, wer eigentlich mehr „behindert“ ist, die „Behinderten“ oder die „Normalen“.) Ich war unsicher, wie ich mit ihnen umgehen sollte. Aber das war ich mit anderen, „normalen“ Menschen auch. Ja. Wie auch immer. 

Jedenfalls hatte ich noch, wenn auch geringe, Beklemmungen, ich war noch nicht völlig frei mit Michels Down-Syndrom. Meine Tarotlehrerin, hatte mich auf ein Buch aufmerksam gemacht: „Das Leben ist schön“ von Simone Fürnschuß-Hofer. Das wünschte ich mir zu meinem Geburtstag Ende Januar und bekam es geschenkt. In diesem Buch werden neun österreichische Familien mit Kindern mit Down-Syndrom porträtiert. Die Kinder sind von ganz klein bis ca. 30 Jahre alt. Dieses Buch stellt die Andersartigkeit so „normal“ dar – mir fehlen wieder die Worte – so nichts-beurteilend, nicht-bewertend, nicht dramatisierend und nicht beschönigend, einfach so, wie es ist. 

Für mich war das der letzte Akt der Befreiung in Sachen „Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom“. 

Und es geht ja nicht nur um die Andersartigkeit, sondern um die Andersartigkeit im Miteinander mit dem Gewohnten. Das ist es doch! Das waren meine Ängste. Wird Michel angenommen, so, wie er ist, oder wird er verspottet, bekämpft, wird ihm Leid zugefügt? Und jetzt beißt sich die Katze in den Schwanz, denn nun kann ich mich sorgen, mich gedanklich festbeißen, kann mir Kopf-Kino machen, oder ich bleibe bei dem, was mein Leben mir zeigt: Michel wird mit Freuden angenommen. Die Menschen begegnen ihm freundlich, unvoreingenommen und interessiert. Ja, die ersten Monate seines Lebens hat er überall, wohin ich ihn mitnahm, wahre Wogen des Entzückens ausgelöst: „Ach, ist der süß!!“ Das sagten schon die Hebammen-Schülerinnen in der Uni-Klinik: „Der kleine Michel ist so süß!“ Für mich war er sowieso das schönste Baby! Am Anfang dachte ich, die Leute sagen das einfach so und bei jedem Kind, aber mit der Zeit glaubte ich ihnen, dass sie es ernst meinen. 

   
 
Manche Menschen scheinen irgendwie magisch zu Michel hingezogen zu werden. Er hat heilende Kräfte. Allein durch seine Ausstrahlung.






Sonntag, 13. Mai 2018

Holy child - Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom


In der Nacht wurde Michel mir gebracht. Er war inzwischen wieder im Kinderzimmer der Frauenklinik. Ich war in ein Dreibettzimmer zu zwei anderen Niedergekommenen gelegt worden. Michel war aufgewacht und ich wollte ihn stillen. Das klappte nicht. Die Frau, die ihn gebracht hatte, Schwester oder Hebamme, drückte an meiner Brustwarze und wurschtelte mit Michel herum und ich konnte mich nicht richtig bewegen, weil ich noch arge Schmerzen nach dem Kaiserschnitt hatte. Die Situation war sehr unbefriedigend. 
 
Wir hätten viel mehr Zeit und Zärtlichkeit gebraucht, Michel und ich. Beides gewährte uns die Schwester nicht. Sie sagte, sie müsse wieder zurück ins Kinderzimmer und würde ihm ein Fläschchen geben, weil er „doch groß werden“ müsse. Ich wollte aufstehen und mitgehen und das Stillen dort versuchen, aber das packte ich noch nicht. 

Das mit dem Stillen hat nie wirklich geklappt. Und es war ein solches Ideal von mir! Ich hatte zwar enormen Milcheinschuss die beiden Tage nach der Geburt, mit dicker, heißer Brust, aber dann kam nie viel Milch heraus. Ich versuchte, den Milchfluss durch Abpumpen in Gang zu bringen, weil Michel beim Stillen manchmal schier nichts herauszog. Er wurde vor und nach dem Stillen aufs Gramm gewogen. Aber es kamen kaum mehr als 20 ml pro Brust. 

Nachdem wir das auch zuhause ein paar Wochen lang praktiziert hatten: Stillen (der Versuch), Fläschchen geben, abpumpen, heulte ich mich darüber einmal bei meiner Hebamme, die zu uns ins Haus kam, aus - auch über den miserablen Start in dieser ersten Nacht und dass ich mich gegen diese raue Schwester nicht gewehrt hatte. 

Aber nach einiger Zeit sah ich auch das Geschenk für mich in dieser Gegebenheit, denn dadurch, dass ich nicht stillte, bekam ich Freiraum. Ich konnte z.B. zu meinem monatlichen Tarot zu Shakti fahren. 

Und: Ich verzieh meiner Mutter, die mir gesagt hatte, das mit dem Stillen habe nicht geklappt als ich ein Säugling war. Vorher grollte ich ihr und unterstellte ihr innerlich, sie habe es nicht gewollt, es mir aus Bequemlichkeit oder warum auch immer vorenthalten, und dann sagt sie mir, es ging halt nicht, und ich stehe da und kann nichts dagegen tun, keine Zärtlichkeit einfordern, keinen Körperkontakt. Jetzt ging es bei mir auch nicht, obwohl ich  es so sehr wollte.

Michel und ich sind Michel und ich, auch ohne gelungenes Stillen. Unsere Beziehung hat Zärtlichkeit und Innigkeit. Ich meine sogar, dass es genau so, wie es gewesen ist, ein größerer Segen ist, als wenn es geklappt hätte, weil es in mir dieses Verzeihen meiner Mutter gegenüber bewirkt hat. 

Michel hat heilende Kräfte, allein durch sein Da-Sein. Das habe ich in der Auswirkung auf andere schon des Öfteren wahrgenommen, aber … anscheinend wirkt das auch auf mich. 

… - …
Ich habe überlegt, wie ich jetzt weiter schreiben soll, ob ich all das, was in der Klinik war, aufschreiben soll und: Ich habe meinen Artikel für die Zeitschrift zum Down-Syndrom gelesen. Der bringt alles so gut zum Ausdruck, mein Empfinden und Erleben, und ich füge ihn jetzt, so, wie ich ihn abgeschickt habe, hier ein:

Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom

Er heißt Michel und wurde am 20. April 2007 geboren. Die Geburt war ein geplanter Kaiserschnitt, weil ich Myome in der Gebärmutter hatte und der natürliche Weg nicht frei war. 

Wir wussten das vorher nicht, dass Michel das Down-Syndrom hat. Wir hatten keine Fruchtwasser-Untersuchung machen lassen, denn wenn da „was festgestellt“ worden wäre … man weiß doch nie, was das für ein Mensch ist, der da rauskommt, und ich hätte mir/wir hätten uns dann nur ein paar Monate lang Sorgen gemacht. Um ungelegte Eier quasi. 

Die Geburt war – ich weiß nicht, wie ich das be-schreiben soll. So ganz neu, noch nie da-gewesen. - Am Tag vorher war ich traurig, dass morgen die Schwangerschaft zuende sein sollte. Und ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen,  dass das Kind dann da wäre. (Michel ist mein erstes Kind und ich war 42 als er zur Welt kam.) - Und es war dann so: Ich konnte garnichts machen, war völlig ausgeliefert, musste mich dem, was (mit mir) geschah einfach hingeben, vertrauen, den Geschehnissen, den Menschen. -  Und ich wurde getragen, gehalten. Alle waren sehr professionell und jede/jeder auf seine ganz individuelle Art menschlich und klasse. Diese Geburt war klasse! Für mich. Von außen betrachtet wahrscheinlich gar nichts Besonderes und halt ein sehr irdischer Vorgang, noch dazu nicht besonderes natürlich. – Ich hatte die Vorstellung, früher mal, falls ich je ein Kind gebären sollte, dann würde ich das in einer roten Höhle, die man sich ja zu diesem Anlass hätte einrichten können mit Tüchern und Decken, und bei Trommelmusik tun. – Und jetzt lag ich da in der Uni-Klinik (!! Noch nicht mal in einem  Geburtshaus oder einer Hebammen-Praxis, geschweige denn zuhause!), im gekachelten und gestählten OP-Raum (!! Noch nicht mal in einem der hübschen Entbindungszimmer!) und Musik lief auch keine, jedenfalls habe ich keine wahrgenommen, aber irgendwie, ich weiß auch nicht, war nicht nur die irdische Ebene präsent, sondern das waren alles Engel in Menschengestalt und ein paar unsichtbare Engel waren auch noch da. Das war nicht rein irdisch. Oder vielleicht irdischer als sonst. Ich war so ganz tief drin, so verbunden und doch so weit weg, so frei. Ich kann das nicht beschreiben, mir fehlen die Worte dafür.

Schlecht war mir auf einmal auch, von der Spinal-Betäubung. Als sie mich zugenäht hatten und ich Michel das erste Mal in den Arm gelegt bekam, hatte ich Angst, ich müsste mich übergeben. Musste ich aber nicht. Und sie haben mir den Michel auch nicht lange gelassen, sondern wieder weggenommen und irgendwas gesagt von „muss in die Kinderklinik“, und irgendein Wert sei „nicht gesättigt“. Ich war nicht ganz klar. D. saß neben mir, Michels Papa. Dann kam ein Kinderarzt ins Zimmer, in rotem Kittel, der setzte sich ans Fenster und erzählte in etwas bemüht unbeschwertem Tonfall und ein bisschen gezwungen heiter aufgesetzter Miene was von Verdacht auf Down-Syndrom und es würde noch eine Blutuntersuchung gemacht werden, um sicherzugehen.  Ich sah vor meinem inneren Auge Gesichter von Menschen mit Down-Syndrom, von „gesund, halt nur anders“ mit dem Gefühl: ‚Dieser Mensch ist eine Bereicherung für seine Mitmenschen‘ bis „liegt im Spagat mit dem Oberkörper flach auf dem Boden, rollt die Zunge im offenen Mund und kann auch sonst nichts“ mit einem beklemmenden Gefühl von Betroffenheit und Hilflosigkeit. Und ich dachte: ‚Was redet der da? Mein Kind?‘ und ich wollte es nicht wahrhaben. 

Den Rest des Tages verbrachte ich“ im Tran“ und dann fingen auch die Schmerzen an, als die Betäubung nachließ. Trotzdem war ich da schon in diesem „behüteten Space“ , der die ganze erste Woche von Michels Leben, die wir in der Klinik verbrachten, da war.

Michel sah ich dann wieder in der Nacht als ihn mir eine Hebamme aus dem Kinderzimmer brachte weil er aufgewacht war und Hunger hatte. Da hatte er die Augen zu. Und den ganzen folgenden Tag machte er sie auch nicht auf, auch nicht, wenn er wach war. Und ich dachte: ‚Ach, der wird das nicht haben. Die irren sich. Der Befund der Blut-Untersuchung wird negativ sein.‘  Aber als er die Augen das erste Mal aufmachte, da sah ich, dass er „es“ doch hat. Als ich mit D. telefonierte, sagte ich ihm das. Dass Michel „das“ hat. Naja. Und dann hat er’s halt. D. wusste sowieso nicht so recht, was das überhaupt ist. Ich selbst hatte schon Menschen mit Down-Syndrom kennengelernt als ich im Rahmen meiner Erzieher-Ausbildung ein Praktikum in einer Behinderten-Werkstatt gemacht hatte. (Wie es mir widerstrebt, dieses „Behinderten“-Werkstatt zu schreiben. Heißt das eigentlich wirklich so oder führt es eine andere Bezeichnung? ) Aber ich kannte nicht wirklich einen, bei uns im Ort oder in der Umgebung, da war weit und breit keiner. O wei! Michel, mein Sohn – der einzige Mensch mit Down-Syndrom weit und breit! Meine erste Angst war, dass meine Nachbarn oder andere Rüpel zu Michel „Spast“ sagen könnten und zu mir: „Selbst schuld! Bist schon so alt!“ – Diese Angst ist übrigens völlig verschwunden und sollte wirklich mal einer sowas sagen, würde ich ihm für den „Spast“ eine scheuern, denke ich im Moment, und dem „selbst schuld, weil zu alt“ gar keine Beachtung schenken.

Als Nächstes überlegte ich mir, was ich geantwortet hätte, wenn ich vorher, vom Himmel oder so, gefragt worden wäre, ob ich ein Kind mit Down-Syndrom nehmen würde oder gar will. Und ich erkannte, dass ich mich nicht getraut hätte, JA zu sagen, eben weil ich mich nicht getraut hätte, so aus dem Rahmen zu fallen, aber jetzt, wo ich’s hatte, da fühlte ich mich zutiefst geehrt und aufs Wunderbarste beschenkt. Dieses Empfinden keimte da schon mit Macht in mir auf. Da ahnte und wusste ich schon, dass das mit Michel nichts Schlimmes ist, sondern eher so eine Art Zugabe. Halt ein Chromosom mehr in jeder seiner Abermillionen Zellen.

 Aber zwei, drei Tage, um den Sachverhalt wirklich vollkommen anzunehmen, habe ich schon gebraucht. Ich habe nicht wirklich dagegen angekämpft. Ich habe nicht gedacht: ‚Warum ich/warum wir? Kann er nicht einfach „normal“ sein?‘ - Irgendwie hat mein tiefstes Inneres sich da schon hüpfend gefreut über dieses ganz besondere Geschenk. - Im ersten Moment wollte ich es nicht wahrhaben, wie gesagt, aber eher mit der Intention, dass ich nicht (schon wieder, oder vielleicht eher: so offensichtlich) anders sein wollte als die anderen, dass ich meinte, mich das nicht zu trauen, dachte, ich hätte nicht den Mut dazu. Aber ich bin ganz schnell und sanft dahin gekommen, zu empfinden, dass es gar keinen Mut braucht, dass es einfach selbstverständlich so ist, dass es nur Annahme braucht und dass es eine – am liebsten würde ich jetzt schreiben: gewaltige – eine große Ehre und das allerschönste Geschenk ist, das mein Leben mir gemacht hat, bis jetzt, Michels Mama zu sein.

Das mit dem „einen Chromosom mehr in jeder seiner Abermillionen Zellen“ ist übrigens eine Aussage von Conny Rapp in ihrem  Foto-Buch „Außergewöhnlich“ (7). Das hatten sie in der Klinik im Schwesternzimmer und gaben es mir zur ersten Info. Ich glaube, dieses Buch hat mir auch gleich geholfen, das Ganze sanft anzunehmen, (Hirn-)Gespinste zu neutralisieren, gar nicht erst aufkommen zu lassen, einfach durch die Bilder und durch die wenigen Texte. Für mich war das gerade das Richtige für eine erste Info. Für mich war an diesen ersten Tagen in der Klinik sowieso alles „irgendwie genau richtig“. Ich habe mich so beschützt und geführt gefühlt.

Am dritten oder vierten Tag, als das positive Ergebnis des Bluttestes dann auch vorlag, gab uns der „Kinderarzt im roten Kittel“  ein Informationsgespräch über das Down-Syndrom. Das war auch klasse! Wie soll ich das sagen? Die Menschen waren alle so wunderbar, so bemüht um uns und um Michel. So voller Liebe. Die haben ihn auch einfach gleich (an)genommen, wie er war, und vielleicht uns zwei, Vater und Mutter, erstmal etwas beäugt, wie wir das Ganze aufnehmen und damit umgehen. Dr. Faas (im roten Kittel) sagte in diesem Gespräch auch, dass viele Eltern, die ein Kind mit Down-Syndrom bekommen, erstmal eine ganze Woche lang weinen. Geweint hatte ich auch, aber die ersten Tränen, wegen des erkannten Down-Syndroms, das waren irgendwie so Unsicherheitstränen, im Sinne von: in so einer Situation muss man weinen, und die nächsten Tränen, die ich wegen Michels Down-Syndrom vergoss, die waren, weil ich so berührt war von Texten aus Conny Rapps Buch, als sie das schreibt mit den Schutzengeln und die Geschichte von „Holland statt Italien“.

Es war heilig, was geschehen ist. Die ganze Zeit in der Klinik habe ich das so empfunden. Und als wir nachhause kamen, war der Raps hinter unserem Hof ganz hochgewachsen und blühte üppig. Wir saßen auf der Bank in der Sonne und auch hier fühlte ich, dass das alles genauso sein soll (!!!!), dass das höhere Fügung ist, ein Geschenk des Himmels, dass wir beschützt und geführt sind. Die Amseln in unserem Garten hatten auch Junge bekommen. Schröder, unser Hund, hat mal kurz über Michel drüber geschnuppert und war dann gar nicht weiter an ihm interessiert. Das hat gut geklappt mit Michel und Schröder, denn ich dachte vorher, vielleicht könnte es da Schwierigkeiten geben, weil Schröder solange als Hund ohne Kind war. Auch die Katzen haben sich prima in die neue Situation eingefunden, die durften nämlich mit Michels Ankunft nicht mehr überall  auf den Sesseln und dem Sofa liegen, sondern nur noch im Flur. Und das haben sie ohne großes Aufhebens getan.

 Meine Eltern, Michels Oma und Opa, waren wohl zuerst etwas betroffen. (Sie selbst haben, als ich sieben Jahre alt war, ein Kind verloren, von dem es hieß, es wäre „behindert“ gewesen. Es starb einen Tag nach seiner Geburt. ) Michels andere Oma wohnt in Wuppertal, die ist etwas weiter weg und konnte nicht in die Klinik kommen. (Wir leben in Hessen in der Wetterau und die Klinik war die Uni-Klinik in Gießen.) Die hat auch die ersten Tage über „dieses Schicksal“ geweint. Auch sie hat eine Vorgeschichte: Ihre Schwester hatte ein Kind mit Down-Syndrom, ein kleines Mädchen, das nach fünf Monaten starb. … Jetzt lieben sie den Michel alle heiß und innig und sein Down-Syndrom ist kaum Thema. – Ich habe nur positive Erfahrungen gemacht. Mir fällt kein einziger ein, der komisch geschaut oder eine blöde Bemerkung gemacht hätte wegen Michel. Ich selbst bin noch am … ausprobieren, wie ich damit umgehe. Am Anfang habe ich immer gleich gesagt:“Er hat das Down-Syndrom.“ Weil ich nicht wollte, dass jemand denkt, ich wolle das verheimlichen. Dann habe ich gemerkt, dass ich diese Erklärung gar nicht immer geben will. Michel ist Michel. Und dieses „Er hat das Down-Syndrom“ erzeugt meines Empfindens nach manchmal so viele Konstrukte, Vorstellungen, (Hirn-) Gespinste, die uns unserer Freiheit berauben. Der Freiheit, so zu sein, der Freiheit, einfach einander zu begegnen, ohne vorgefasste Meinungen. – Aber: Ist das nicht, auch wenn jemand kein Down-Syndrom hat, auch so? … Hm? …

Mir begegnen z.Zt. „an jeder Ecke“ Menschen, die mir von den Besonderheiten ihrer Kinder erzählen: Der eine hat mit über einem Jahr noch keine Zähne, die andere rollt sich nur über den Boden und will mit 15 Monaten noch nicht krabbeln und der nächste hat mit drei Jahren nur „Gäng-gäng“ gesagt – später in der Schule war er in Deutsch der Beste. Mir erzählt also gerade jeder, wie groß die Vielfalt menschlicher Entwicklung und menschlichen Ausdruckes ist, unabhängig davon, ob da eine genetische Veränderung diagnostiziert ist oder nicht. Auch die Unsicherheiten, die ich habe, z.B. ob ich auf mein Gefühl hören soll oder auf den Rat des Kinderarztes, der etwas anderes sagt, hat nichts mit Michels Down-Syndrom zu tun. Das haben Mütter „normaler“ Kinder auch. … - … - … Uns fehlen so viele Begriffe! Bzw. wir haben so viele Begriffe, die uns so sehr einschränken!!!  Richtig schlimm ist das!! „Normal“, „behindert“ … und überhaupt die Vorstellungen, wie was zu sein hat. Damit schneiden wir uns vom Leben ab. Von der Liebe, von der Freiheit, von der Lust am Leben, vom tiefen, tiefen Frieden.



Ich bin so dankbar für den Michel! Was durch ihn alles neu wird! Neu, noch nie dagewesen und so wunderbar! Allein, dass ich jetzt hier sitze und diesen Artikel geschrieben habe für die Zeitschrift KIDS, ob er nun gedruckt wird oder nicht, setzt in mir Prozesse in Gang und öffnet bisher Verschlossenes in mir was mich glücklich und frei macht. Und das wünsche ich auch meinem Kind: Ein glückliches und freies Leben! Und uns allen!


Samstag, 12. Mai 2018

Michels Geburt


Am 20. April 2007, früh morgens, fuhren wir in die Uniklinik nach Gießen, um unser Kind zur Welt zu bringen. Es war ein Freitag. Wir sollten gleich morgens drankommen, aber als wir ankamen, war gerade ein Notfall im Geburts-OP. Ein Kind war in der 25. Woche zur Welt gekommen und es dauerte ein paar Stunden, bis Kind und Mutter versorgt und in Sicherheit gebracht waren. 
 
Ich wurde derweil in Vorbereitung auf die OP gewässert. Stundenlang, den ganzen Vormittag. Das heißt, mir wurde per Infusion (Salz-?)Wasser injiziert, ich weiß nicht mehr, warum, sie hatten es mir erklärt, damit ich die OP besser überstünde. Mir war kalt deswegen. Ab und zu sah eine Hebamme nach mir. Eine Hebammen-Schülerin rasierte mir irgendwann die Schamhaare weg und später kam der Anästhesist und stellte sich vor. Das war ein lustiger Kerl und er erzählte mir, dass er selbst vor vier Monaten Vater geworden war. „Vier Monate!“ dachte ich, „das Kind ist ja schon groß.“

Wir warteten. 

Dann ging es los. Mittags gegen halb eins. Der Anästhesist hatte mir eine Kanüle gelegt. Es kam noch eine Anästhesistin hinzu, die sich mir auch vorstellte. Sie machte einen ganz toughen Eindruck, aber sie streichelte mir über‘s Gesicht, als ich in den OP-Raum gefahren wurde. 

Dann kamen viele Menschen, Schwestern, Hebammen und Schülerinnen, Lern-Ärzte, die zusahen oder auch selbst was an mir ausprobieren durften und dann der Arzt, der mich operierte, der Michel auf die Welt holen sollte. Alle trugen grüne Käppchen, auch ich und D. hatten welche auf. Der Oberarzt, der die OP machte, trug ein Piratenkopftuch! Und er sah auch aus wie ein Pirat! Er war ein junger, dunkler, lockerer Typ, gleichzeitig wirkte er auf mich kompetent und vertrauenerweckend. Ich selbst konnte überhaupt nichts mehr machen. Ich wurde rüber gehoben auf den OP-Tisch und ich glaube, sogar festgeschnallt. Der Anästhesist und die Anästhesistin redeten mit mir, spaßten und redeten auch Ernsthaftes. Ich erzählte ihnen von dem Spaziergang damals mit meinem Hund Schröder, als mir so schlecht war, und von dem meerestiefen Frieden, den ich empfunden hatte. 

Ich spürte, dass an mir geschnitten, gezogen und gedrückt wurde, ohne Schmerz zu empfinden. Ich hatte vollstes Vertrauen, zu allem und allen um mich herum. Ich war mir gewiss, in allerbesten Händen zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass lauter menschliche Engel um mich herum waren. Und unsichtbare Engel waren auch im Raum. 

D. sagte mir später, er habe während der OP unten beim Operateur gestanden. Der hat ihm meine Innereien gezeigt, Eierstöcke, die Myome und so. Und ich dachte, er säße die ganze Zeit neben mir. 

Dann war Michel draußen. Er schrie. Der Pirat sagte, dass es auch „ein Michel“ sei, ein Junge. Sie hielten ihn kurz neben mich, dass ich ihn sehen konnte: Ein kleiner, blutverschmierter Mensch mit schwarzen Härchen am ganzen Körper. Aber schwupps – war er weg, zur ersten Versorgung. Ich hörte ihn die ganze Zeit schreien. Das tat mir leid. Der Pirat sagte, dass er nun meine Gebärmutter wieder gut zunähen würde, damit Michel noch ein Geschwisterchen bekommen kann. Mir wurde schlecht. Das sagte ich dem Anästhesisten und der träufelte mir etwas dagegen ein. 

Dann erschien D. mit dem eingewickelten Michel auf dem Arm neben mir.  Irgendwie sah D. mitgenommen aus. Als ich fertig zugenäht war, wurde ich wieder in das Zimmer gefahren, in dem wir den ganzen Vormittag über gewartet hatten. Michel wurde mir wieder in den Arm gelegt. Mir war so schlecht, dass ich Angst hatte, ich müsste brechen. 

Dann erschien ein Arzt in rotem Kittel. Der saß plötzlich am Fenster und erzählte was von Verdacht auf Down-Syndrom und dass ein Bluttest veranlasst sei, um Gewissheit zu erlangen. Ich dachte: „Was redet der? - Mein Kind?“

 
 
Michel wurde in die Kinderklinik gebracht, weil irgendein Wert nicht gesättigt war. Ich war nicht ganz bei mir, ein bisschen im Tran. D. fuhr irgendwann nachhause, nachdem die Hebamme ein Polaroidbild von Michel gemacht hatte, für die daheim. Da sah er doch ganz süß drauf aus! „Der wird das nicht haben“, dachte ich, „die irren sich.“ 

Dann begann die Narkose nachzulassen und die Schmerzen begannen. Ich bekam Schmerzmittel, die lullten mich noch mehr ein und ich döste vor mich hin, zwischen den Welten.



Freitag, 11. Mai 2018

Im Fluss sein

Das Geld floss die ersten sechs Wochen, die ich zuhause blieb, wie gehabt und dann in Form von Krankengeld. D. traf Vorbereitungen, um zu mir zu ziehen. Im Oktober zog er um. Er ging zu der Zeit auch noch arbeiten, Kfz-Aufbereitung. Zum Winter hin, sagte er, gäbe es dort keine Arbeit mehr und er meldete sich arbeitslos. Wir warteten ewig, über Monate, auf die Gewährung von Geld für ihn / uns vom Arbeitsamt und lebten den ganzen Winter und halben Frühling über von meinem Krankengeld. Wir dachten immer, es sei zu wenig (aber irgendwie reichte es doch) und wenn erst das Arbeitslosengeld käme, die Nachzahlung - dann … ! 

Wenige Wochen vor Michels Geburt bekamen wir nach mehrmaligem Nachfragen den Bescheid, dass sein Antrag abgelehnt sei, weil wir in eheähnlicher Gemeinschaft lebten und mein Krankengeld für uns beide ausreiche. Wir fielen aus allen Wolken. Die Sachbearbeiterin behauptete auch, sie hätte uns den Bescheid schon vor Wochen zugesandt. Wir hatten aber nichts bekommen und lebten die ganze Zeit in der Hoffnung auf über kurz oder lang kommendes Geld. 

Die Woche nach Michels Geburt, als wir aus dem Krankenhaus nachhause fahren wollten, waren wir bis zum Anschlag im Soll und wir liehen uns von meinen Eltern Geld, um 100,- € Leihgebühr für eine Milchpumpe zahlen zu können, um Lebensmittel zu kaufen und das Auto zu tanken. 

Am 1. Mai war die Auszahlung einer Lebensversicherung von mir fällig. Das waren knapp 4000,- €. Damit füllten wir unser Konto, bezahlten die Schulden zurück und kauften uns eine Gartenhütte im Sonderangebot. In Erwartung der Nachzahlung vom Arbeitsamt hatten wir uns in diesem Frühjahr auch schon einen ermäßigten Pavillon geleistet, mit dem D. einen schönen Freisitz für uns gebaut hatte. So hatten wir zwar sehr wenig Geld, aber uns flossen doch Reichtümer und Neuerungen zu. Zumal D. einen enormen Arbeitseifer besitzt, ausgesprochen kreativ ist und handwerklich ein Allroundtalent. Er hat hier losgelegt und innen und außen in so kurzer Zeit soviel verändert, dass es mir hinterher leid tat, dass ich nicht von allen erneuerten Ecken Vorher-Nachher-Fotos gemacht hatte. 

Er renovierte auch Flur und Bad, mit enormem Aufriss – alles neu. Das sponserten meine Eltern, denen das Haus, in dem wir wohnen, gehört, und ich übte mit meiner Psychologin, das alles anzunehmen und die Haltung einzunehmen, dass es mir zusteht. Zu diesen therapeutischen Sitzungen ging ich, seit ich damals mit R. zusammen war. In dieser Beziehung war ich in vollem Ausmaß an meine Eifersuchts- und Minderwertigkeitsthemen und an meine Verlassens-Ängste gekommen. Und weil ich schon im Prozess des Trockenwerdens vom Alkohol hilfreiche therapeutische Erfahrungen gemacht hatte, hatte ich keine Berührungsängste mit Psychologen und beantragte eine Therapie, als ich nach Vorkommnissen mit R. ein paar Nächte lang nicht geschlafen und mich nur von Kaffee ernährt hatte, innerlich total am Rad drehte, völlig verzweifelt war und Höllenqualen litt. 

Im Februar begann D. damit, meine Speisekammer wegzuhauen und den Flur zu erweitern. Im Bad wurde auch alles herausgehauen, bis auf die letzte Fliese. Flur und Bad lagen also in Schutt und Asche und über Wochen war das eine Baustelle. 

Ich hatte einen riesengroßen Bauch und lag die meiste Zeit im Bett, weil ich zu der Zeit enorme Beschwerden hatte. Zeitweise konnte ich wegen Schmerzen nicht richtig laufen. Ende Januar verbrachte ich deswegen auch eine Woche stationär in der Klinik. Im letzten Drittel der Schwangerschaft wurde es besser. Das war für mich die entspannteste Zeit der Schwangerschaft, da hatte ich nur noch Sodbrennen nachts.

Ich musste also den ganzen Umbruch einfach hinnehmen. Loslassen und geschehen lassen, mich hingeben, liegenbleiben und die anderen machen lassen. 

 

Ich sehe es auch als göttliche Fügung an, dass wir so lange nichts von dem Ablehnungsbescheid wussten und im Glauben lebten, da käme bald eine ordentliche Nachzahlung. Ich machte mir so schon Sorgen um unsere Finanzen, aber wenn ich das noch gewusst hätte, hätte ich mich noch viel mehr gegrämt. Den Pavillon hätten wir mit Sicherheit  nicht gekauft. So aber haben wir ihn und es ist finanziell doch immer irgendwie gegangen. Unser Konto war zwar dauernd im Soll, aber trotzdem floss der kosmische Fluss und brachte uns viel Neues. 

So ist es auch mit Michel. Ich machte mir ohnehin gelegentlich Sorgen, ob auch alles gutgehen würde. Eine Geburt stand mir bevor! Und es sollte ein geplanter Kaiserschnitt werden, weil der natürliche Weg durch die Myome blockiert war. Die Wehen durften nicht einsetzen, denn sonst bestand die Gefahr, dass meine Gebärmutter platzen könnte, was bestimmt tödlich für das Kind und mit 80 %tiger Wahrscheinlichkeit auch für mich enden könnte. So hatten es mir die Ärztinnen gesagt, meine Gynäkologin und die Ultraschallerin in der Uniklinik. 

Mit dem Festlegen eines Geburtstermins tat ich mir schwer, denn ich bin der Ansicht, jeder hat seine Zeit, zu der er auf die Erde kommt (und später wieder geht), das entscheidet die Seele. Und da sollte ich eingreifen und bestimmen?! Meinem Kind etwas aufzwingen? … - Heute bin ich im tiefen Vertrauen, dass das alles, auch mit den scheinbaren äußeren Zwängen, genau richtig war. Michel ist zu seiner Zeit auf die Erde gekommen. Das Ganze war von vorne bis hinten behütet und beschützt, und ist es mit Sicherheit noch. 

Wenn ich gewusst hätte, dass Michel das Down-Syndrom hat, dann hätte ich mir noch viel mehr Sorgen gemacht. Aber so kam er raus und dann war es so. 

Da begannen die 7 heiligen Tage.

Donnerstag, 10. Mai 2018

Etwas ganz Neues

Anfang September 2006 bekam ich, ein paar Tage früher als vereinbart, weil ich Beschwerden hatte, einen Termin bei meiner neuen Gynäkologin. Eigentlich wollte ich mir da die Pille oder ein anderes Verhütungsmittel verschreiben lassen. 
 
Als Erstes gab ich eine Urinprobe ab; dann kam ich dran und saß im Besprechungszimmer der Ärztin, vor ihrem Schreibtisch. Sie kam herein, herein gerauscht, ohne den Kopf zu heben, sah mich garnicht an, stellte sich nicht vor, fragte nicht nach meinem Namen, sondern nahm gleich ihre Zettel, die auf dem Tisch lagen, in die Hand und sagte: „Ja, das ist also positiv.“ 

Obwohl ich wusste, was sie meinte, und obwohl etwas in mir ohnehin schon wusste, dass ich schwanger war, habe ich es doch im ersten Moment nicht begriffen und diese offizielle Bestätigung war noch mal … ja – wie? Paff! Da war etwas passiert, was ich nicht für möglich gehalten hatte. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, in diesem Leben Mutter zu werden, schwanger zu werden - nicht wirklich. Obwohl ich wusste, dass ich schwanger bin. Etwas in mir wusste es, aber mein Alltagsbewusstsein oder meine Erfahrungen, mein Selbstbild, mein eingeschränktes, wollten es nicht glauben. Als sie das mit dem „positiv“ sagte, wurde dieser Glaubenssatz – pong! – gesprengt und ich empfing das für mich völlig Neue auch gedanklich, mit meinem Verstand. 

Wir gingen in ein anderes Zimmer, ich legte mich auf eine Liege, sie gelte mir den Bauch ein und fuhr mit ihrem Ultraschall-Dingens darauf herum. Auf dem Bildschirm zeigte sie mir die Schwangerschaft. Ja! Da war was! Auf dem Bild, das sie ausdruckte, konnte man schon Michels Rückgrat sehen. Dann fragte sie mich, ob ich wisse, dass ich Myome habe, Gewächse in der Gebärmutter. Es seien einige und sie seien recht groß und deswegen sei es kein Wunder, dass ich Beschwerden habe. Ich sollte mich schonen, hinlegen, nicht arbeiten gehen, sonst würde ich die Schwangerschaft gefährden. 

Das Ultraschallgerät gab an, die Schwangerschaft befände sich in der fünften Woche und errechnete auch gleich den wahrscheinlichen Geburtstermin: 2. Mai 2007. Ich rechnete nach und kam bei aktuellem Datum minus fünf Wochen auf Ende Juli. Ich hatte aber Anfang August zum letzen Mal meine Periode gehabt und wir hatten doch auch da erst das erste Mal miteinander geschlafen. Da sollte es gleich passiert sein? Und dann noch die Periode? Die Ärztin lies sich aber von der 5. Woche und der Empfängnis Ende Juli nicht abbringen. Das weckte in mir den Gedanken, das Ganze müsse etwas Besonderes sein: Eine „unbefleckte Empfängnis“, so wie bei Maria mit Jesus. „Es“ war einfach passiert, vom Himmel gefallen quasi, und damit es irdisch angenommen werden konnte, trat zeitgleich D. auf den Plan. Ich meine das nicht unbedingt wörtlich. Aber eigentlich doch. Michel ist ein Geschenk des Himmels. 

Und D. genauso (?). Aus der Praxis draußen, rief ich ihn gleich an. Er wartete schon auf meinen Anruf. Ich teilte ihm das Ergebnis mit und fuhr zu ihm. Auf der Fahrt weinte ich. All die Fakten, all das Neue – ich war erschüttert und musste mir Luft machen, es fließen lassen. Es waren Tränen der Ausdehnung. 

Aber es waren auch Tränen dabei, die flossen wegen: „Wie soll das gehen? Nicht arbeiten? Mein neuer Job! Was werden die im Kindergarten sagen? Woher soll dann mein Geld kommen?“ 

Als ich bei D. war und wir uns im Flur in den Armen lagen, sagte er als Erstes: „Die Fische müssen weg.“ Er hatte einen Fischteich im Hof.
… - …


Die Fische kamen dann auch weg. Zu gegebener Zeit. Die „wertvollen“ Kois gab er einer Bekannten und die „gewöhnlichen“ Karpfen schwimmen jetzt im Bergwerksteich.

Ich überschlief die Option des Nicht-mehr-arbeiten-gehen-und-mich-hinlegen eine Nacht lang und entschied mich, es zu tun. Ich redete mit dem Vorstand des Kindergartens. Der erste Papa, dem ich sagte: „Ich muss Dir was sagen, ich bin schwanger und ich habe Myome und soll mich hinlegen“ der antwortete mir: „Herzlichen Glückwunsch!“ Die anderen reagierten auch alle positiv und ich bin nun in diesem Kindergarten in Elternzeit bis Michel 2 wird. 
👶🙌


                  

Schläft ein Lied in allen Dingen - oder: Wie die Natur mit uns spricht

      Wünschelrute von Joseph von Eichendorff    „Schläft ein Lied in allen Dingen,  Die da träumen fort und fort,  Und die Welt hebt an zu ...